EuGH zur Haftung für Filesharing in Familien

05.12.2018

Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, was ein Anschlussinhaber zu seiner Entlastung in einem Filesharing-Klagverfahren vortragen muss (Urteil vom 18.10.2018, Rechtssache C‑149/17). Oftmals befinden sich Betroffene bei einem Familienanschluss in einer Zwickmühle. Denn um sich selbst als Anschlussinhaber zu entlasten, müssen Angaben dazu gemacht werden, wer es denn sonst aus der Familie gewesen sein kann. Dies kann schnell dazu führen, dass zwar der Anschlussinhaber aus der Haftung freikommt, stattdessen aber Ehepartner oder Kinder als Täter verklagt werden.

Zur Rechtsprechung des BGH

Afterlife-Entscheidung

Der Bundesgerichtshof allerdings geht bislang davon aus, dass innerhalb einer Ehe und Familie, jedenfalls unter Volljährigen, keine Pflichten zur Kontrolle oder Dokumentation der Internetnutzung bestehen. Folglich musste im Falle einer Klage auch nicht nachgewiesen werden, wer aus der Familie zum Zeitpunkt einer Rechtsverletzung was online gemacht hat. Es genügte darzulegen, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zum Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang war der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat (BGH, Urteil vom 06.10.2016 – I ZR 154/15 – Afterlife). Wurden hierzu vollständige Angaben gemacht, so kam der Anschlussinhaber aus der Haftung frei. Dies galt auch, wenn letztlich trotzdem unklar blieb, wer es denn war, z.B. also wenn auch keines der anderen Familienmitglieder die Tatbegehung zugab.

Loud-Entscheidung

Etwas anders ist die Sachlage, wenn der Anschlussinhaber weiß, wer es war. Hier hat der BGH zugunsten der Abmahner entschieden, dass ein Anschlussinhaber sich dann nicht darauf zurückziehen kann, den Täter einfach nicht preisgeben zu wollen, um diesen nicht „ans Messer zu liefern“.

Zwar führt die Mitteilung des Namens des verantwortlichen Familienmitgliedes mit Blick auf die möglichen zivilrechtlichen oder gar strafrechtlichen Folgen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Familienfriedens. Zugunsten des Anschlussinhabers wird hier also das Grundrecht auf Schutz der Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) tangiert. Es besteht aber eben keine Pflicht zur Auskunft. Wenn der Anschlussinhaber trotz Kenntnis keine Auskunft erteilt und er insoweit auf seine Rechtsverteidigung verzichtet, trifft ihn dann wieder selbst unmittelbar die Haftung für die Rechtsverletzung (BGH, Urteil vom 30.03.2017 – I ZR 19/16 – Loud).

Die besten Chancen einer erfolgreichen Rechtsverteidigung im Klageverfahren – ohne den Schaden auf ein anderes Familienmitglied abzuwälzen – bestanden also in Konstellationen, in denen zwar andere Familienmitglieder als Täter ernsthaft in Betracht kamen, aber dem Anschlussinhaber unbekannt war, wer es denn tatsächlich gewesen ist.

Die Vorlagefrage des Landgerichts München

Den Abmahnkanzleien war dieser angebliche „Familienjoker“ schon länger ein Dorn im Auge. Dem Landgericht München offenbar auch. Denn es legte dem EuGH einen Fall vor und fragte an, ob es mit europäischem Recht vereinbar sei, wenn in Konstellationen, wie sie dem Afterlife-Urteil des BGH zugrunde liegen, Ansprüche der Abmahner stets zurückgewiesen werden müssen. Konkret wollte das Landgericht München wissen, ob es zulässig sei, dass eine Haftung des Anschlussinhabers immer ausscheidet, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf den Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH verneinte dies und stellte fest, eine Rechtsprechung, die Familienmitgliedern des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, einen quasi absoluten Schutz gewährt, sei nicht europarechtskonform (EuGH, Urteil vom 18.10.2018, Rechtssache C149/17) .

Resonanz auf die EugH-Entscheidung

Die Entscheidung wurde, wie zu erwarten war, von den Abmahnkanzleien als Sieg gefeiert und auf sie wird seitdem in allen Verfahren zu ähnlichen Konstellationen Bezug genommen.

Genauere Betrachtung

Bei genauerem Hinsehen ändert sich hierdurch aber letztlich nichts Entscheidendes für die Rechtsprechung.

Zum einen war die Vorlagefrage des Landgerichts München bereits offensichtlich in einer Art und Weise gestellt, die letztlich nur ein „Nein“ als Antwort zuließ. Denn dass es zur Rechtsverteidigung nicht ausreichen kann, lediglich ein Familienmitglied als Mitnutzer zu benennen „ohne nähere Einzelheiten“ mitzuteilen, liegt auf der Hand.

Entgegen der Annahme des Landgerichts München gab und gibt es einen solchen „Familienjoker“ aber auch gemäß der BGH-Rechtsprechung in dieser pauschalen Form überhaupt nicht. Selbst in der vom Landgericht offenbar als Rechtfertigung für den „Familienjoker“ verstandenen Afterlife-Entscheidung führte der Bundesgerichtshof vielmehr aus:

„Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht.“

Die Anforderungen des BGH gingen also bereits in der Afterlife-Entscheidung weit darüber hinaus, nur mindestens ein Familienmitglied zu benennen, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Auswirkungen der EuGH-Entscheidung

Das Ergebnis der EuGH-Entscheidung ist also: Eine angebliche Rechtsprechung des BGH, die der BGH in der vom Landgericht München genannten pauschalen Weise jedoch gar nicht vertreten hat, wäre nicht europarechtskonform.

Dieser Erkenntnisgewinn ist gering und für die Praxis weitgehend ohne Relevanz.

Und in der der (allerdings zeitlich erst nach der Vorlagefrage des LG München ergangenen) Loud-Entscheidung traf der BGH zudem bereits die für Familien-Konstellationen schmerzhafte Feststellung, dass bei Kenntnis der wahre Täter auch zu offenbaren ist. Auch hieran ändert die Entscheidung des EuGH nichts in die eine oder andere Richtung.

Verweis des EuGH auf nationales Prozessrecht

Der EuGH gibt schließlich sodann dem Landgericht München noch mit auf den Weg, es möge prüfen, ob das nationale Recht gegebenenfalls andere Mittel, Verfahren oder Rechtsbehelfe enthalte, die es ermöglichen, die Erteilung der erforderlichen Auskünfte anzuordnen, mit denen sich unter Umständen die Urheberrechtsverletzung und die Identität des Zuwiderhandelnden feststellen lässt. Gemeint hiermit sind offenbar die normalen prozessualen Beweismittel (z.B. Zeugen, Urkunden, Parteivernehmung), wie sie auch die Zivilprozessordnung vorsieht.

Auch dies überrascht letztlich wenig. Denn die Abmahnkanzleien sind im Grunde in den jeweiligen Verfahren keineswegs schutzlos gestellt. Wenn sie der Meinung sind, Vortrag des Anschlussinhabers sei falsch oder unvollständig, stehen ihnen die üblichen Beweismittel zum Nachweis der Haftung des Anschlussinhabers zur Verfügung. So können z.B. die Familienmitglieder als Zeugen benannt werden, um nachzuweisen, dass der Anschlussinhaber doch selbst der Täter war. Das Problem, dass sich hierbei für die Abmahnkanzleien in der Praxis oftmals stellt, ist, dass Familienangehörige als Zeugen über ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht verfügen. Wollen sie nicht aussagen, kann das Gericht sie also nicht zwingen. Das Ergebnis eines solchen Prozesses kann dann sein, dass der Kläger das Klageverfahren verliert, weil er die Voraussetzung seiner Ansprüche vor Gericht nicht mit den prozessrechtlich zulässigen Beweismitteln beweisen kann. Dies ist zwar schade für den Kläger, kann letztlich aber natürlich jedem Kläger in jedem Klageverfahren passieren. Und auch hieran wird sich durch die EuGH-Entscheidung nichts ändern.

Fazit

Die tatsächliche Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an den Sachvortrag für Anschlussinhaber von Familienanschlüssen in Filesharing-Klageverfahren war und bleibt europarechtskonform. Daran änderte auch die Vorlagefrage des Landgerichts München nichts. Intention dieser Vorlagefrage schien vielmehr gewesen zu sein, durch eine gewisse Missinterpretation der BGH-Rechtsprechung als angeblich viel zu anschlussinhaberfreundlich noch strengere Vorgaben des EuGH und so im Ergebnis eine noch abmahnerfreundlichere Rechtsprechung zu erzwingen.

Der EuGH hingegen hat – zu Recht – zwar die Vorlagefrage mit der ihr innewohnenden suggestiven Fragestellung verneint. Er hat die nationalen Gerichte aber zudem auf die üblichen prozessualen Maßnahmen verwiesen. Der Vorlagefrage hätte es hierfür nicht bedurft.

In Urheberrecht